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Vertrauen als Buzzword in der Grundeinkommensdebatte – was steckt dahinter? Das erörtern wir in unserer neuesten Publikation
„Schwerpunkt #2“.
Vertrauen – dieses Stichwort fällt in der Grundeinkommensdebatte immer wieder. Mal wird darauf hingewiesen, dass Grundeinkommen ein Zeichen des Vertrauens sei, mal wird argumentiert, dass Grundeinkommen Vertrauen stärke. Der Tenor ist dabei immer ähnlich: Vertrauen ist grundsätzlich positiv und erstrebenswert, und deswegen muss es das Grundeinkommen auch sein. Es scheint fast, als wäre Vertrauen eine Art Buzzword: Eine Worthülse, die für positive Assoziationen sorgt und die wie selbstverständlich im Zusammenhang mit Grundeinkommen genannt wird.
Dabei ist Vertrauen weit mehr als das. Denn Vertrauen hat vielseitige und messbare positive Auswirkungen – psychologisch, sozial und ökonomisch. Vertrauen in andere steigert die eigene Produktivität und Leistung. Denn Vertrauen setzt – so die Annahme – kognitive und sogar finanzielle Ressourcen frei. Empfundenes Vertrauen durch andere bringt außerdem ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Befähigung mit sich und kann auch dadurch Leistung steigern. Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft (das sogenannte Vertrauensklima) hängt sogar mit Gesundheit, Bildung und Wirtschaftswachstum zusammen. Vertrauen stellt also nicht nur eine wichtige individuelle, sondern sogar eine gesellschaftliche Ressource dar, die die gesamte Entwicklung eines Landes positiv beeinflussen kann.
Diese vielseitigen positiven Effekte machen Vertrauen zweifelsfrei erstrebenswert. Doch welche Rolle kann das Grundeinkommen dabei spielen? Ist es tatsächlich ein Akt des Vertrauens oder ist es eine Maßnahme, die Vertrauen schafft? Oder sogar beides?
Ist Grundeinkommen ein Akt des Vertrauens?
Um dies beurteilen zu können, muss man verstehen, was Vertrauen im Kern ist und wann wir von Vertrauen sprechen können: Vertrauen bedeutet, davon auszugehen, dass andere unsere Interessen wahren und uns keinen Schaden zufügen werden; gleichzeitig geht Vertrauen mit einer Situation der Unsicherheit und Verletzlichkeit einher.
Wir als Stiftung Grundeinkommen glauben, dass Grundeinkommen durchaus ein solcher Akt des Vertrauens ist. Denn indem der Staat bürokratische Kontrollen abbaut und Bürgerinnen und Bürgern dank garantierter finanzieller Absicherung ein größeres Maß an Entscheidungs- und Handlungsfreiheit gewährt, macht er sich verletzlich. Schließlich könnten die Bürgerinnen und Bürger diese Freiheit dazu nutzen, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu reduzieren oder gar einzustellen – etwa indem sie nicht mehr arbeiten.
Doch schafft Grundeinkommen auch Vertrauen?
Da es bisher kein Land auf der Welt gibt, in dem tatsächlich der gesamten Gesellschaft ein Grundeinkommen garantiert wird, können wir uns einer Antwort auf diese Frage nur annähern.
Doch es gibt Hinweise: Zum einen zeigen Analysen eines finnischen Feldexperiments zum Grundeinkommen, dass Teilnehmende, denen ein Grundeinkommen ausbezahlt wurde, im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht nur größeres Vertrauen in Parteien und Politikerinnen hatten, sondern auch in ihre Mitmenschen. Hier führte also ein Grundeinkommen zu mehr Vertrauen.
Zum anderen kann man sich der Frage, ob ein Grundeinkommen Vertrauen schaffen kann, auch über einen Umweg nähern: Die Empirie zeigt nämlich, dass wahrgenommenes Vertrauen weiteres Vertrauen schafft. Menschen neigen dazu, auf wahrgenommenes Vertrauen anderer mit vertrauenswürdigem Verhalten zu reagieren und anderen ihrerseits stärker zu vertrauen. Wird Grundeinkommen also als Akt des Vertrauens wahrgenommen, könnte es geeignet sein, so einen Kreislauf beziehungsweise eine Kettenreaktion des Vertrauens in Gang zu setzen oder zu verstärken.
Wer diesen Akt des Vertrauens wagt, macht sich verletzlich. Wir glauben, dass der Staat diese Verletzlichkeit wagen kann und sollte. Denn er hat die Sicherheit und die normsetzende Macht, um diesem Impuls Signalwirkung und Geltung zu verschaffen.
Und in Anbetracht der zahlreichen positiven Effekte von Vertrauen scheint es vorteilhaft, wenn nicht unverzichtbar, Vertrauen zu schaffen – insbesondere, da es beim Vertrauensklima in Deutschland durchaus Luft nach oben gibt.
Vertrauen und Grundeinkommen: Was die Debatte braucht
Doch einige Fragen sind noch offen – sowohl empirisch als auch normativ. Zwar ist es empirisch belegt, dass Menschen, denen ein Grundeinkommen ausbezahlt wird, stärker vertrauen. Doch je nach Grundeinkommensmodell ist nicht immer eine Auszahlung an alle vorgesehen. Entsprechend bleibt zu untersuchen, ob ein Grundeinkommen auch bei den Personen Vertrauen fördern kann, die keine direkte Geldzahlung erhalten, indem es ihnen zumindest garantiert wird.
Außerdem müssen wir klären, wie genau Grundeinkommen zu mehr Vertrauen führen könnte. Welcher Aspekt des Grundeinkommens ist besonders vertrauensstiftend? Wie können wir Grundeinkommen besonders vertrauensförderlich gestalten? Antworten auf diese Fragen sind wichtig, um das vertrauensstiftende Potenzial von Grundeinkommen richtig beurteilen zu können.
Normativ gilt es hingegen zu klären, worauf bei Grundeinkommen überhaupt vertraut wird. Immerhin bedeutet Vertrauen, dass – trotz einer Situation der Verletzlichkeit – zuversichtliche und positive Erwartungen hinsichtlich des Verhaltens des anderen bestehen. Wenn Grundeinkommen ein Akt des Vertrauens ist, muss es also entsprechende Erwartungen geben. Was also wären diese Erwartungen? Worauf genau wird vertraut? Wir glauben, dass es in der Grundeinkommensdebatte dringend notwendig ist, diese Frage zu stellen. Denn hier gilt es unweigerlich, Farbe zu bekennen – und zwar in Hinblick auf den Gesellschaftsvertrag, der dem Grundeinkommen zugrunde liegen soll.