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„Mit Anreizen kann man besser motivieren als mit Bestrafungen“

von Daniel Erk,
Foto: Chihiro/EyeEm

Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Rainer Wieland von der Bergischen Universität Wuppertal erklärt, welche Ansätze aus der Organisationspsychologie sich auf die Sozialforschung anwenden lassen – und was sich bei der „HartzPlus“-Studie ermitteln lässt, die die Stiftung Grundeinkommen fördert.

18. April 2019
Herr Wieland, Sie untersuchen zum ersten Mal, ob die Regeln von Hartz IV effektiv sind. In einer Gesellschaft, in der Effizienz als oberste Maxime gilt, eigentlich verblüffend spät. Warum wurde das nicht früher überprüft?

Rainer Wieland: Das liegt an unserem paradoxen Menschenbild. In Unternehmen schafft man Bedingungen, die Mitarbeiter motivieren sollen. Diese Bedingungen sind eher positiv: Man lässt den Menschen Spielräume und Möglichkeiten, etwas aktiv zu tun, um sich, wie man in der Psychologie sagt, selbstwirksam zu fühlen.

Und bei Hartz IV?

Bei Hartz IV setzt man auf ein anderes Menschenbild. Man geht davon aus: Die Situation ist uns egal, die Hartz-IV-Empfänger sollen in die Puschen kommen, motiviert sein, Arbeit suchen und sich fortbilden. Dabei übersieht man die jahrzehntelange Forschung aus der Arbeitspsychologie. Die besagt, dass eine Situation wie Arbeitslosigkeit, Hartz IV und die damit einhergehende subjektive Lage eben nicht geeignet sind, Menschen zu motivieren. Kurz gesagt: In Unternehmen ist das Menschenbild so, dass man bereit ist, etwas für die Leute zu tun und gute Arbeitsbedingungenzu schaffen. Bei Hartz IV-Beziehern erwartet man: sie sollen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Und das funktioniert nicht.

Was bewirken denn die Sanktionen, mit denen Hartz-IV-Empfänger rechnen müssen, wenn sie bestimmte Maßnahmen ablehnen?

Schon durch die bloße Existenz der Sanktionen passiert etwas: Sie sind ein Damoklesschwert. Die Menschen haben sie ständig vor Augen, das bringt sie in eine sehr bedrohliche Situation, die nicht gerade förderlich ist, um sich zu motivieren. Für die Forschung bedeutet das: Wir können nicht nur auf die Leute schauen, die tatsächlich sanktioniert werden, sondern wir müssen auch ansehen, was das psychisch mit den Leuten macht, die nicht sanktioniert werden. Und das ist ein wichtiges Ziel unserer Studie. Denn man muss dazusagen: Nur 3,1 Prozent der Hartz-IV-Empfänger werden tatsächlich sanktioniert.

Der Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Rainer Wieland leitet das Wuppertaler Institut für Unternehmensforschung und Organisationspsychologie. Er forscht unter anderem zu Effekten, die Sanktionen auf Hartz-IV-Empfängern haben können.
Foto: privat
Es geht bei den Sanktionen nicht nur um die konkrete Bestrafung, sondern auch um das Drohpotenzial? Weil man glaubt, dass Angst ein antreibender Faktor ist?

Letztlich schon, dabei weiß man aus der pädagogischen Psychologie, aus der ganzen Lehr- und Lernforschung, dass man mit Anreizen besser motivieren kann als mit angedrohten Bestrafungen. Und genau das reizt mich auch persönlich an dieser Studie: die triadische Wirkungsmacht der Sozialsysteme zu erforschen, wie ich das nenne.

Was bedeutet das?

Man kann sich das als Wirkungsgefüge von drei Einflüssen vorstellen: Wir wollen in unserer Studie herausfinden, was die Verhältnisse, unter denen Hartz-IV-Bezieher leben, mit ihnen machen. Dazu gehört auch, dass wir mehr über diese Menschen wissen. Also befragen wir sie auch nach ihren Haltungen und Einstellungen und erfassen Persönlichkeitsmerkmale wie Selbstwirksamkeit und Eigeninitiative. Beides – sowohl die Eigenschaften und Haltungen als auch die Lebensverhältnisse – sind ausschlaggebend dafür, wie sich Menschen verhalten. Im triadischen Wirkungsmodell des Sozialsystems untersuchen wir deshalb das Beziehungsgefüge zwischen Verhältnissen, Verhalten und Haltungen. Unsere Hoffnung ist, so mehr über die tatsächliche Situation von Hartz-IV-Beziehern zu erfahren. Dazu erfassen wir auch in Abständen von vier bis sechs Wochen die aktuellen Befindlichkeiten.

Sie versuchen herauszufinden, wie zufrieden die Betroffenen mit Hartz IV sind?

Nein, Zufriedenheit bringt uns als Faktor in der Forschung nicht viel weiter. Wir fragen ganz konkret nach Befindlichkeiten. Zum Beispiel: Wie energiegeladen fühlen Sie sich? Wie leistungsbereit, körperlich unwohl, angespannt oder nervös? Und wir fragen einen Punkt ab, der ganz entscheidend für menschliches Leben ist: Fühlen Sie sich einflussreich?

Einflussreich? Warum?

Dahinter steckt das Gefühl, etwas in der Welt bewirken zu können. Wir bezeichnen das als „Kontrollerleben“. Kontrollverlust dagegen ist einer der größten Stressfaktoren, die man sich vorstellen kann.

Bei Hartz IV, sagt Wieland, setze man auf ein spezielles Menschenbild. „Man geht davon aus: Die Situation ist uns egal, die Hartz-IV-Empfänger sollen in die Puschen kommen, motiviert sein, Arbeit suchen und sich fortbilden."
Foto: diedrittefrau/EyeEm
Man könnte den Eindruck bekommen, dass Menschen in Hartz IV, die in eine schwierige berufliche Situation geraten sind, über dieses Unglück hinaus auch noch bedroht werden – nämlich durch Sanktionen. Gibt ihnen das am Ende das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben?

Genau das ist der Punkt, der mich interessiert: ob das so zusammenkommt. Ich habe bei dieser Studie keine eindeutige These im Vorhinein, aber ich habe natürlich Annahmen aus der Psychologie, vor allem aus der Organisationspsychologie, aber auch aus Unternehmen. Aber in dieser Studie möchte ich erst einmal wissen, in welchen Verhältnissen Hartz-IV-Empfänger überhaupt leben – und was dies für sie bedeutet, unabhängig von bloßen Meinungen darüber.

Wie machen Sie das?

Wir fragen relativ genau die Familien- und Einkommenssituation ab und schauen, wie sich ihre Lebenssituation auf ihr Denken und Fühlen, auf ihre Einstellung auswirken – und wie das zusammen zu bestimmten Verhaltensweisen führt. Zudem wollen wir wissen: Verändert sich auch etwas in der Haltung der Personen, wenn sie Sanktionen nicht mehr befürchten müssen?

Wie müsste sich das Menschenbild denn ändern, damit sich das Sozialsystem ändern kann?

Das ist wirklich eine schwierige Sache. Was wir mit der Studie machen können: Denkanstöße geben. Empirische Daten können dazu beitragen, dass die Entscheider merken: Es gibt noch andere Perspektiven. In der Arbeitspsychologie hat es 30 Jahre gedauert, bis bestimmte Konzepte wie Entscheidungs- und Handlungsspielräume, Kontrollerleben und Kontrollverlust in die Terminologie von vielen Unternehmen eingegangen sind. Dass man Mitarbeitern bestimmte Freiräume und Möglichkeiten geben muss, damit sie ihre Leistungen wirklich bringen und Lust haben an der Arbeit. Das ist in den Bereich Hartz IV bisher nicht vorgedrungen, obwohl es Daten aus der Erwerbslosigkeitsforschung gibt, die zeigen, dass wir das ändern müssen.

Wir stellen uns neu auf: Neuer Name, neue Programmatik

Am 15. Februar schlagen wir ein neues Kapitel auf. Künftig verhandeln wir die Sozialsysteme der Zukunft – geleitet von unserer Vision einer fairen und zukunftsfähigen Gesellschaft, in der ein selbstbestimmtes Leben für alle zugänglich ist. Dazu geben wir uns einen neuen Namen: "Zentrum für neue Sozialpolitik"; und eine breitere Programmatik. Kommen Sie mit auf die Reise?