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Über das Grundeinkommen wird viel diskutiert, trotzdem haben es die etablierten Parteien noch nicht auf ihre Agenda gesetzt. Laura Brämswig und Joy Ponader sind die Gründerinnen der „Expedition Grundeinkommen“ – und wollen so mit Unterschriftenaktionen für die Politik verpflichtende Volksentscheide herbeiführen. Ein Debattenbeitrag.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist sehr viel mehr als eine Sozialstaatsreform. Es ist ein Paradigmenwechsel. Ein solcher Paradigmenwechsel kann nicht von unseren politischen Instanzen allein beschlossen werden – er muss aus der Gesellschaft selbst kommen. Dafür muss die Mehrheit der Menschen über die politischen Lager hinweg eine Veränderung für realistisch halten und voranbringen. Und nur wenn diese Mehrheit auch sichtbar wird, wird das Grundeinkommen unsere Gesellschaft von morgen prägen.
Die Gesellschaft ist dabei schon viel weiter als die Politik. In Meinungsumfragen sind 50 Prozent der Menschen in Deutschland für ein Grundeinkommen. Gerade einmal die Hälfte, könnte man einwenden. Allerdings: Für die Unterstützung einer so weitreichenden gesellschaftlichen Innovation ist die Hälfte ein extrem hoher Wert. In der Innovationsforschung geht man davon aus, dass sich eine Idee dann durchsetzen kann, wenn mehr als zwölf Prozent – also Early Adopter – sich dafür aussprechen. Über diesen Punkt sind wir als Gesellschaft bereits weit hinaus, denn nicht mehr nur Vordenker und Early Adopter unterstützen ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Selbst Zweifler sehen im Grundeinkommen eine Chance
Bei immer mehr Menschen hat sich in den letzten Jahren Skepsis oder Desinteresse in interessierte Offenheit gewandelt. So auch bei Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Er sagt: „Ich war anfangs ein deutlicher Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens. Aber ich sehe, dass wir etwas Neues probieren müssen. Wir wissen, dass Anreize sehr viel besser funktionieren als Restriktionen. Daher gefällt mir das Menschenbild hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen – wir sollten es unbedingt weiter erforschen.“
Selbst Zweifler sehen im Grundeinkommen eine Chance und finden es richtig, es zumindest einmal auszuprobieren: Mehr als die Mehrheit der Menschen spricht sich für einen Modellversuch aus.
In Hamburg hat die „Expedition Grundeinkommen“ daher auch die nötigen Unterschriften für die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid aus dem Stand in nur drei Wochen genommen. Dabei sind nicht alle Menschen, die für ein Volksbegehren unterschreiben, glühende Befürworter.

Foto: „Expedition Grundeinkommen“
In einem sind sich aber alle einig: Noch lange sind nicht alle Fragen beantwortet. Und das ist gut so. Fragen wie „Welche Chancen sehen wir in der Idee?“, „Welche Risiken?“, „Was sind die politischen und gesellschaftlichen Ziele, die wir mit einem Grundeinkommen erreichen wollen?“, „Und welche Ausgestaltung eines Grundeinkommens erreicht dieses Ziel am besten?“ bringen die Debatte voran und schärfen fördern den Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft.
Es gibt also eine Mehrheit für ein Grundeinkommen und eine noch größere für das Lasst-es-uns-zumindest-mal-Ausprobieren. Diese Mehrheit spiegelt sich im Moment in unserer repräsentativen Politik (noch) nicht wider: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien fordert derzeit die Einführung eines Grundeinkommens. Lediglich die Grünen befürworten einen Modellversuch. Es ist also an der Zeit, diesen Veränderungswunsch der Gesellschaft sichtbar, ja, unübersehbar zu machen und ihm so Gewicht zu verleihen. Das können wir am besten tun, indem wir die Bevölkerung zu Wort kommen lassen. Am besten direkt in einer verbindlichen Volksabstimmung.
Bisher waren Versuche zu wenig in der Gesellschaft verankert
Wir haben in den letzten Jahrzehnten weltweit einige Vorstöße in Form von Modellversuchen gesehen, von denen aber keiner ausreichend gesellschaftlich verankert war.
In Ontario (Kanada) wurde ein großer staatlicher Versuch mitten in seiner Laufzeit abgebrochen, weil es einen Regierungswechsel gab. In den USA hatte das Experiment in den 1960ern trotz großem Erfolg keinen Einfluss auf die nachfolgende Politik – weil ein Machtkampf im Senat den Vorstoß torpedierte und schließlich in der Schublade verschwinden ließ.
Der finnische Modellversuch wurde zu Recht viel kritisiert, da das Studiendesign massiv durch einseitige Interessen aus der Politik beschnitten und kleingespart wurde. Einer der größten Kritiker an der Schwerpunktsetzung der Untersuchung war dabei Programmleiter Olli Kangas selbst. Er wünscht sich, dass Deutschland andere Wege geht, und sieht in der „Expedition Grundeinkommen“ dafür eine Chance:
„Wenn die Expedition erfolgreich ist, wird Deutschland damit das weltweit beste Grundeinkommen-Experiment bekommen. Das finnische Experiment wurde von der Regierung gestartet, die sehr viel Einfluss auf die Ausrichtung genommen hat. Der Ansatz der Expedition Grundeinkommen geht jedoch von der Bevölkerung aus. Das ist viel besser.“
Diese Beispiele zeigen uns, dass die besten wissenschaftlichen Ergebnisse uns nicht zu gesellschaftlichen Innovationen verhelfen, wenn der Wunsch nach Veränderung nicht in der Gesellschaft verankert ist.
Es ist Zeit, die nächste Phase der Debatte einzuläuten
Wenn wir nun einen Schritt hin zu einem Grundeinkommen machen und einen staatlichen Modellversuch in Deutschland durchführen, dann soll dieser mehrheitlich getragen werden und in eine solide gesellschaftliche Debatte eingebettet sein. So steigt die Chance, dass danach weitere konkrete politische Schritte folgen.
Die „Expedition Grundeinkommen“ startet die Volksabstimmungen, um sichtbar zu machen, was schon da ist: der stattfindende Paradigmenwechsel und die Mehrheit der Menschen, die im Grundeinkommen eine ernst zu nehmende Chance auf eine bessere Gesellschaft sehen. Dies zeigt die Relevanz auf und führt dazu, dass die Politik den Wunsch der Bevölkerung nach einer Beschäftigung mit dem Thema Grundeinkommen ernst nimmt, zum Beispiel durch die Einsetzung einer Enquete-Kommission, wie es die Stiftung Grundeinkommen und Prof. Jürgen Schupp vom DIW fordern.
Eines muss dabei aber klar sein: Unser demokratisches System aus repräsentativer Politik ist wichtig und gut. Wir wollen es durch direkte Demokratie nicht umgehen oder ersetzen. Wir wollen ihm auf die Sprünge helfen. Denn es ist Zeit, die nächste Phase der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen einzuläuten: Am Anfang sollte „Grundeinkommen denkbar werden“ (so der Unternehmer Götz Werner), dann wurde Grundeinkommen erlebbar (durch Kampagnen wie „Mein Grundeinkommen“). Jetzt muss das Grundeinkommen demokratisch entscheidbar werden. Dafür sorgen wir nun gemeinsam. Wir sehen uns – auf der Straße beim Unterschriftensammeln.
Zur Unterstützung ihrer Kampagne haben Laura Brämswig und Joy Ponader für die „Expedition Grundeinkommen“ ein Crowdfunding auf der Plattform Startnext ins Leben gerufen. Fundingziel sind 50.000 Euro. Auf diese Weise soll die Unterschriftensammlung für den Modellversuch trotz Corona-Beschränkungen per Post weitergehen.