Kommentar

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„Menschen möchten mehr von Arbeit haben als das bloße Einkommen“

von Anna Rinderspacher,
Foto: Edith images

Wann empfinden Menschen Arbeit als sinnvoll und gut – und wann leiden sie unter ihr? Ein Interview mit dem Arbeits- und Organisationspsychologen Bernad Batinic von der Universität Linz.

06. Februar 2019
Herr Batinic, wie würden Sie Arbeit allgemein definieren?

Bernad Batinic: Jede zielgerichtete Tätigkeit ist Arbeit. Wenn wir über Arbeit sprechen, dann meinen viele damit aber in der Regel bezahlte Erwerbsarbeit. Und dann gibt es noch das Ehrenamt. Eine Beschäftigung, die kaum bis gar nicht entlohnt wird. Trotzdem gehen viele Menschen ihr nach.

Welche Funktionen muss eine Tätigkeit also erfüllen, damit sich Menschen ihrer annehmen?

Arbeit besteht nicht nur aus Geldverdienen, sondern auch aus zahlreichen latenten Funktionen. Sie strukturiert den Tag, schafft soziale Kontakte sowie die Möglichkeit, gemeinsam Ziele zu erreichen, und sie sorgt für einen gewissen sozialen Status. Eine gute Arbeit sollte das alles ausreichend bieten. Andere Forscher gehen hier noch einen Schritt weiter und fordern beispielsweise, dass Arbeit den Menschen auch weiterbildet, ihn in seiner Persönlichkeit und seinem Können fortlaufend verbessert. Interessant ist übrigens auch zu sehen, was mit Menschen passiert, wenn sie ihre Arbeit verlieren: Wir wissen aus Metaanalysen, dass Arbeitslosigkeit zu einer Verschlechterung der psychischen und physischen Gesundheit führt.

Woran liegt das?

Arbeitslosigkeit verursacht Stress. Wer arbeitslos ist und vielleicht sogar Sozialhilfe empfängt, wird von der Gesellschaft zunehmend abgehängt. Die Freizeitgestaltung wird ja auch immer mehr eingeschränkt, man kann nicht mehr einfach mit Freunden ins Kino gehen oder auf ein Bier in die Stammkneipe, weil man es sich nicht mehr leisten kann. Die Strukturierung des Tages geht ebenfalls verloren, viele fühlen sich wertlos. Das übt einen großen Druck auf die Psyche aus, viele Arbeitslose werden depressiv, leiden unter Schlafstörungen.

Die Arbeit gibt unserem Leben Sinn.

Ja, Arbeit, die ich gerne und mit Begeisterung mache, erfüllt mich als Mensch. Ich lebe gesünder, und die Lebenszufriedenheit ist höher. Wir selbst haben eine Studie mit Personen durchgeführt, die sich in einem Privatinsolvenzverfahren befinden. Arbeiten, um Geld zu verdienen, bringt da wenig, weil das Einkommen ab einer gewissen Summe gepfändet wird. Dennoch haben viele der untersuchten Menschen gearbeitet, und diese Arbeit hat sich positiv auf ihr Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit ausgewirkt.

Bernad Batinic ist Professor für Arbeits-, Organisations- und Medienpsychologie an der Universität Linz.
Foto: Universität Linz
Der psychologische Nutzen ist unabhängig von der Bezahlung?

Nein, aber um mich mit meiner Arbeit zu identifizieren, benötige ich auch das Gefühl, einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Ich bewundere Menschen, die es schaffen, ihren Beruf mit Begeisterung und hohem Engagement auszuüben, wenn man gleichzeitig sieht, mit wie wenig Bezahlung und Wertschätzung wir als Gesellschaft diesen Personen gegenübertreten. Dazu gehören etwa Polizisten oder Pflegekräfte. Es wird immer schwerer, junge Menschen für diese Berufe zu begeistern. Viele Ausbildungsplätze bleiben frei. Es handelt sich hier aber um Berufe, die für unsere Gesellschaft überaus wichtig sind.

„Würden Sie nach einem Lottogewinn weiterarbeiten wie bisher, aufhören zu arbeiten oder unter anderen Bedingungen arbeiten?“
Was können wir tun, um diese Tätigkeiten aufzuwerten?

Wir brauchen eine Diskussion darüber, mit welcher Form von Anerkennung wir als Gesellschaft bestimmten Tätigkeiten gegenübertreten. Darüber hinaus sollten wir Arbeit so gestalten, dass Menschen in ihr wachsen können. Arbeit mit Freude zu erleben, ist kein Privileg und kein Luxus.

Was würde sich verändern, wenn es ein Grundeinkommen gäbe?

Es ist auf jeden Fall Unsinn, dass bei einem Grundeinkommen alle sofort den Stift fallen und es sich zu Hause gut gehen lassen würden. Vor einigen Jahren wurde in den USA eine Studie zu dieser sogenannten „Lottofrage“ durchgeführt: „Würden Sie nach einem Lottogewinn weiterarbeiten wie bisher, aufhören zu arbeiten oder unter anderen Bedingungen arbeiten?“ Die meisten Befragten würden weiterarbeiten, teilweise aber unter anderen Bedingungen. Interessant ist, dass viele hier zwischen sich und ihrer Meinung über andere deutlich unterscheiden. Ich stelle bei diesem Thema meinen Studierenden gerne die Frage, wie hoch ihrer Ansicht nach der Anteil von Menschen ist, die nach einem Lottogewinn mit der Arbeit aufhören würden. Da werden dann immer abenteuerlich hohe Zahlen genannt. Im Anschluss frage ich sie, wie viele von ihnen bei einem Lottogewinn mit dem Studium aufhören würden. Da meldet sich dann niemand.

Arbeit, die wir mit Begeisterung machen, erfüllt uns als Menschen – sagt Batinic.
Foto: Edith images
Was heißt das für die Zukunft der Arbeit?

Die Menschen werden auf jeden Fall zunehmend anspruchsvoller. Sie wollen mehr von Arbeit haben als das bloße Einkommen. Gerade junge Menschen finden sich mit einfacher, schlechter Arbeit nicht mehr ab. Man möchte Familie und Beruf in Einklang bringen, interessante Dinge machen und sich selbst verwirklichen. Das liegt, denke ich, auch daran, dass das Commitment der Arbeitgeber gegenüber ihren Angestellten in den letzten 50 Jahren abgenommen hat, zumindest empfinden viele Beschäftigte das so.

Was hat sich verändert?

Die Jobgarantie, die es früher gab, also dass man in einer Firma anfängt und bis zur Rente dort arbeitet, gibt es heute nicht mehr. Firmen verkleinern ihre Belegschaften oder lagern Produktionen ins billigere Ausland aus. Also müssen die Arbeitnehmer flexibler werden, sich immer mal wieder umschauen, welche Alternativen sie haben. Arbeitgeber und -nehmer ähneln also mehr Lebensabschnittsgefährten als Ehepartnern wie früher. Und warum sollte man dann nicht auch nach einer Arbeit suchen, die neben einem stabilen Einkommen andere Vorteile wie eine gute Work-Life-Balance oder die Möglichkeit zu reisen bietet?

Wir stellen uns neu auf: Neuer Name, neue Programmatik

Am 15. Februar schlagen wir ein neues Kapitel auf. Künftig verhandeln wir die Sozialsysteme der Zukunft – geleitet von unserer Vision einer fairen und zukunftsfähigen Gesellschaft, in der ein selbstbestimmtes Leben für alle zugänglich ist. Dazu geben wir uns einen neuen Namen: "Zentrum für neue Sozialpolitik"; und eine breitere Programmatik. Kommen Sie mit auf die Reise?