Kommentar

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Über die Grundsicherung zum Grundeinkommen

von Mansour Aalam,
Foto: Marc Tran/Stocksy

Viele finden, dass aktuell ein guter Zeitpunkt für eine Ad hoc-Einführung eines Grundeinkommens wäre. Warum die Stiftung Grundeinkommen dies anders sieht und stattdessen gemeinsam mit dem DIW Berlin eine Enquetekommission zum Grundeinkommen anregt, erklärt Mansour Aalam in einem Debattenbeitrag.

07. September 2020

Der Artikel in Kürze
Die Corona-Krise ist ungeeignet, um Systemreformen ohne Vorbereitung zu erproben
— Die jetzt beschlossenen Maßnahmen haben das Potenzial, längerfristig zu bestehen
— Wir als Stiftung Grundeinkommen empfehlen, die Entwicklung wissenschaftlich zu begleiten

Die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie betreffen bereits heute Millionen Bürgerinnen und Bürger. Um die drastischen Folgen für viele Menschen abzufedern, hat die Bundesregierung das Sozialschutz-Paket beschlossen und den Zugang zur Grundsicherung Hartz IV erleichtert. Dazu zählen insbesondere das zeitlich begrenzte Aussetzen der Vermögensprüfung und bestimmter Sanktionen. Die Stiftung Grundeinkommen unterstützt die Maßnahmen der Bundesregierung und zieht diese einer Ad-hoc-Einführung eines Grundeinkommens vor.

Die aktuelle Krisensituation, die mit großen gesellschaftlichen und fiskalischen Unsicherheiten einhergeht, ist aus unserer Sicht ungeeignet, tief greifende Systemreformen ohne umfassende Vorbereitung zu erproben. Der Weg zu einem Grundeinkommen führt für uns über schrittweise Reformen, die evidenzbasiert eingeführt und evaluiert werden. Die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind weitreichend und können den Wesenskern der Grundsicherung verändern. Sie haben das Potenzial, über die Krise hinaus zu bestehen, wenn sie sich bewähren. So können sie eine echte Weiterentwicklung der Grundsicherung in Richtung eines Grundeinkommen darstellen.

Durch die Beschlüsse der Bundesregierung ergibt sich nun die Chance, mehr über drei relevante Aspekte für das Verständnis der Wirkungsweise von Grundeinkommen zu lernen: Wie wirken Sanktionen, welche Rolle spielt die Vermögensprüfung, und in welcher Form verändert der externe Kulturimpuls die Jobcenter?

Eine Art staatliches Experiment

Wir als Stiftung Grundeinkommen empfehlen daher, die aktuelle Entwicklung wissenschaftlich zu begleiten und auszuwerten. In gewisser Weise haben wir damit eine Art staatliches Experiment.

Neue Erkenntnisse zu den drei genannten Bereichen können einen wichtigen Beitrag zur Debatte liefern, ob und wie ein Einstieg in ein Grundeinkommen konkret gestaltet werden kann. Natürlich existieren aktuell keine perfekten Bedingungen, und selbstverständlich haben die Bedürfnisse der Menschen immer Vorrang vor Forschungsanstrengungen. Die Einsichten, die wir erlangen könnten, sind dennoch substanziell. Die so gewonnenen Daten könnten zusammen mit weiteren gewichtigen Fragen wie die der Finanzierung in einem Sonderausschuss des Bundestages erörtert werden. Deswegen schlagen wir als Stiftung Grundeinkommen mit Prof. Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin eine Enquetekommission des Bundes zum Grundeinkommen vor – bereits in der nächsten Legislaturperiode.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren, ob und wie wir diese Chance nutzen wollen, um das Sozialsystem nach der Hochphase der Krise wissenschaftlich fundiert zu gestalten.

Mansour Aalam, Geschäftsführer der Stiftung Grundeinkommen.
Foto: Markus Burke
Wir stellen uns neu auf: Neuer Name, neue Programmatik

Am 15. Februar schlagen wir ein neues Kapitel auf. Künftig verhandeln wir die Sozialsysteme der Zukunft – geleitet von unserer Vision einer fairen und zukunftsfähigen Gesellschaft, in der ein selbstbestimmtes Leben für alle zugänglich ist. Dazu geben wir uns einen neuen Namen: "Zentrum für neue Sozialpolitik"; und eine breitere Programmatik. Kommen Sie mit auf die Reise?