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In Kenia findet mit mehr als 20.000 Menschen das bisher weltweit größte Experiment zum Grundeinkommen statt. Projektleiterin Caroline Teti erklärt, was an diesem Projekt anders ist, worauf die Forschenden hoffen – und welche Fragen dennoch offen bleiben werden.
Was könnte ein Grundeinkommen bewirken – für jeden Einzelnen, aber auch die Gesellschaft? Die Wissenschaftsserie „Was wir wissen und was nicht“ wirft einen Blick auf die Faktenlage. Wirtschaftsjournalistin Lea Hampel stellt in jeder Folge den Stand der Forschung vor.
Der Artikel in Kürze
— Erwachsene in ausgewählten kenianischen Siedlungen erhalten umgerechnet 22 US-Dollar pro Monat und über zwei Jahre
— Auf diese Weise will die NGO GiveDirectly unter anderem herausfinden, wie sich ein Grundeinkommen auf die Menschen auswirkt
— Nicht alle Ergebnisse des Experiments lassen sich eins zu eins auf andere Regionen übertragen
Das bisher weltweit größte Grundeinkommensexperiment findet derzeit in Kenia statt. Mehr als 20.000 Menschen erhalten zu unterschiedlichen Bedingungen Geld. Bezahlt wird das von der US-amerikanischen NGO GiveDirectly. Unter anderem das Massachussets Institute of Technology (MIT) untersucht den Verlauf des Experiments. Was daran anders ist als an bisherigen Versuchen, worauf die Forschenden hoffen und welche Fragen dennoch offen bleiben werden, erklärt Caroline Teti, die das Projekt vor Ort leitet.
Frau Teti, was genau erforschen Sie eigentlich in Kenia?
Caroline Teti: Uns geht es darum, Fragen zu stellen. Dafür haben wir fünf Forschungsbereiche definiert. Erstens: Würden Menschen aufhören zu arbeiten, wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen bekämen? Zweitens: Wie gehen Menschen mit Risiken um, wenn sie ein Grundeinkommen erhalten – ziehen sie also eher weg, wandern aus oder nehmen einen neuen Job an? Drittens: Inwiefern steigert ein Grundeinkommen den Ehrgeiz? Plant jemand dann seine Zukunft anders? Viertens: Was macht ein Grundeinkommen mit den Geschlechterverhältnissen? Also was bedeutet es, wenn jede und jeder im Haushalt eine bestimmte Geldmenge zur Verfügung hat? Und fünftens: Welche Auswirkungen hat es auf das Spar- und Planungsverhalten?
Wie ist das Projektdesign angelegt?
So, dass in bestimmten, von uns ausgewählten Gemeinden alle dauerhaften Bewohnerinnen und Bewohner ab 19 Jahren das Geld erhalten. Damit es vergleichbare Ergebnisse und Aussagen gibt, haben wir drei verschiedene Designs entwickelt. Einmal erhalten die Bewohnerinnen und Bewohner umgerechnet 22 US-Dollar im Monat über einen Zeitraum von zwei Jahren. Beim zweiten Modell bekommen sie das Gleiche für zwölf Jahre. Und beim dritten Ansatz erhalten sie den äquivalenten Betrag von monatlich 22 US-Dollar innerhalb von zwei Jahren in zwei größeren Summen, die ihnen auf einmal ausgezahlt werden.
Wer hat das Design entwickelt?
Die Studie wurde von einem Team von Forschern von mehreren US-Universitäten entwickelt. Sie nutzen die Forschungsinfrastruktur der Nichtregierungsorganisation Innovations for Poverty Action. Das Projekt soll Geldtransfers an arme Haushalte übers Smartphone ermöglichen. Unabhängige Wissenschaftler untersuchen das Projekt: Paul Niehaus von der University of California, San Diego, und zwei Wissenschaftler vom MIT, Tavneet Suri und Abhijit Banerjee. Es ist wichtig, dass das Projekt von unabhängigen Organisationen untersucht wird.
Welche anderen Experimente haben Sie sich dafür angeschaut?
Wir haben andere Studien global verglichen. Aber keine Studie war wirklich universell im Sinne dessen, dass alle in einer Gemeinschaft Geld erhalten haben. Und keine war langfristig angelegt in dem Maß, das wir gerade anstreben. Meist haben die Experimente eher fünf Jahre oder weniger gedauert. Auch die Größe – bei uns sind es mehr als 20.500 Teilnehmer – gab es bisher nicht. Die meisten Experimente haben ja in Nordamerika oder Europa stattgefunden, auch in Namibia gab es etwas. Wir aber wollten uns die Dynamik in einem armen und in einem afrikanischen Kontext ansehen.
Warum haben Sie da gerade Kenia ausgewählt?
Wir waren dort schon länger mit anderen Projekten aktiv und kannten das Terrain. Wir hatten Kontakte, und es war einfach, diese Studie hier aufzusetzen. Strukturell gibt es viele Ähnlichkeiten in den Subsahara-Ländern; die Erkenntnisse, die wir gewinnen, werden also vermutlich übertragbar sein.

Wonach haben Sie dann die Gemeinden ausgewählt?
Wir mussten ja die Größe der Stichprobe festlegen, hatten eine Mindestzahl und ein Budget, das von vornherein für das Projekt feststand. Wir brauchten Dörfer an einer bestimmten Armutsschwelle und mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, der Vergleichbarkeit halber. Wir wurden dann im westlichen Kenia fündig und im Rift Valley. Dort erhalten jetzt Menschen in 44 Dörfern über einen Zeitraum von zwölf Jahren Geld. Die Zwei-Jahres-Variante wenden wir in 80 Dörfern an. Und zweimal eine größere Summe auf einmal bekommen Menschen in 77 Dörfern. Jedes der Dörfer hat um die 55 bis 70 Haushalte, und die bestehen aus je drei bis sieben Menschen im Schnitt; darunter meist drei Erwachsene.
Nach welchen Kriterien haben Sie den Betrag von 22 US-Dollar festgelegt?
Der Betrag sollte angemessen sein, um sich grundsätzlich versorgen zu können. Dafür gibt es ja in jedem Land einen Durchschnittswert, in Kenia liegt er laut Weltbank und Regierung in dieser Höhe, nämlich bei 0,75 US-Dollar am Tag. Das entspricht etwa 2.250 Kenianischen Schillingen im Monat.
Wonach haben Sie die Länge der Untersuchungszeiträume ausgerichtet?
Der Zwei-Jahres-Zeitraum wurde von den Wissenschaftlern festgelegt, weil sie davon ausgehen, dass man in dieser Zeit Lebensentscheidungen in Bezug auf Gesundheit und Bildung oder Ähnliches fällt. Und die zwölf Jahre sind aus der Überlegung heraus entstanden, dass dieser Zeitraum auch langfristige Entscheidungen abbildet. In der Zeit kann ein Kind die Grundschule besuchen und dann noch weiter auf die Highschool gehen. Weil das Projekt auch junge Menschen einbindet, können wir untersuchen, welche Folgen es hat, wenn junge Menschen wissen, dass sie nach der Schule Geld bekommen und ein paar Jahre Zeit haben, um Weichen fürs Leben zu stellen, in Bildung zu investieren oder ein Geschäft zu starten. Viele bisherige Studien waren ja eher kurzfristig angelegt. Wenn aber ein Land ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt, müsste es langfristig sein. Und dann muss die Grundlage auch Langzeitforschung sein.
Wo sehen Sie Nachteile in dem Design?
Wenn wir ein größeres Budget hätten, könnten wir noch mehr Dörfer und auch größere Orte untersuchen.
Wie funktioniert die konkrete Durchführung vor Ort?
Zunächst haben wir die Genehmigung von der Regierung eingeholt. Als wir die auf dem County-Level (Countys entsprechen den Bundesländern, Anm. d. Red.) hatten, war klar: Das ist nun auch auf anderen Ebenen genehmigt. Wir konnten das Projekt launchen. Wir sind dann in die Dörfer gefahren, haben mit den Dorfältesten und damit -repräsentanten gesprochen, die wiederum die Gemeindemitglieder aktiviert haben. Bei einem Gemeindetreffen haben wir dann erklärt, wer wir sind und was wir wollen, und haben Fragen beantwortet.
Welche Fragen und Reaktionen gab es?
Die Menschen wollten wissen: Warum ist das Programm anders als die, die wir bisher kennen? Warum bringt ihr keine Bücher? Seid ihr sicher, dass das nicht nur ein Kredit ist? Ist das sauberes Geld? Kommt es vom Teufel? Aber auch: Wie können wir uns anmelden? Ist es wirklich bedingungslos? Die meisten waren aber begeistert, viele hatten auch schon von uns gehört. Nachdem ein erstes Vertrauen aufgebaut war, haben viele auch persönliche Dinge erzählt, von denen sie hofften, dass sie sich durch das Projekt ändern würden: zum Beispiel, dass sie sich die hohen Schulgebühren oder gesünderes Essen würden leisten können. Aber solche Dinge fragen wir auch ab, wenn die Menschen sich registrieren. Wir wollen wissen, was ihre Hauptprobleme sind und worin sie Lösungen sehen.

Können Sie schon etwas dazu sagen, was die Menschen mit dem Geld machen?
Da gibt es eine sehr große Bandbreite, eigentlich nutzt es jede Empfängerin und jeder Empfänger für etwas anderes, das liegt an den sehr vielen unterschiedlichen Bedürfnissen. Manche senden das Geld auch in andere Dörfer. Und ich habe eine Familie kennengelernt, die immer zehn Prozent der Kirche geben.
Gibt es innerhalb der Studie Grenzen dafür, was die Menschen mit dem Geld machen dürfen?
Wir sagen den Menschen durchaus: Nutze das Geld sinnvoll. Aber wenn jemand Alkohol trinkt, wird er auch mit dem Geld nicht damit aufhören. Und es gibt Dinge, die strikt verboten sind: etwa, das Geld für terroristische Aktivitäten zu nutzen oder für andere Dinge, die laut den Gesetzen Kenias oder der Länder, aus denen das Geld stammt, verboten sind. Für einige Menschen haben wir die Zahlungen auch schon wieder eingestellt.
Inwiefern kann man denn die Erkenntnisse, die Sie möglicherweise gewinnen, auf westliche Länder übertragen?
Schaut man sich die Literatur zum Grundeinkommen an, geht es immer um Argumente dafür oder dagegen. Dabei stehen der Westen und Afrika vor ganz unterschiedlichen Fragen: Im Westen geht es um den Sozialstaat, Arbeitslosigkeit, Automatisierung. In Afrika geht es um Armut, ein nachhaltiges Auskommen, die Stärkung von Gleichheit. Was man aber durchaus sagen kann: Wenn wir beispielsweise sehen, dass Menschen trotz des Grundeinkommens weiter arbeiten, kann man das durchaus übertragen. Auch Erkenntnisse zum Planungsverhalten könnten übertragbar sein. Es muss halt bei jeder Verallgemeinerung der Kontext berücksichtigt werden.
Und können Sie schon etwas über die Ergebnisse, die ja noch nicht offiziell sind, verraten?
Eher anekdotisch kann ich aus einzelnen Begegnungen verraten, dass es viele positive Beispiele gibt – dass Menschen weiter arbeiten, die Möglichkeit haben, besser zu planen und schlicht eine andere Welt erleben. Alles Weitere wissen wir im nächsten Jahr besser.