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„Wäre ich Aktivist, wäre ich für kleine Reformen“

von Lea Hampel
Foto: Stocksy

Georg Vobruba befasst sich seit bald 40 Jahren mit dem Grundeinkommen und hat dazu ein Standardwerk verfasst. Eigentlich will er sich nicht in Debatten einmischen. Doch nun macht er eine Ausnahme: Warum sich die Positionen in all den Jahren wenig verändert haben und er Experimente skeptisch sieht, erklärt er im Auftakt unserer Serie zur Debatte über das Grundeinkommen.

30. September 2019
Herr Vobruba, Ihr Buch zum Grundeinkommen ist gerade in der dritten Auflage erschienen, die erste stammt aus den 1980er Jahren. Begeistert Sie das Thema noch?

Georg Vobruba: Eine gute Frage, das Thema läuft einem ja praktisch nach. Ich bin eigentlich immer bemüht, mich nicht in die Debatte einzumischen und mich mit meinem Dafür oder Dagegen zurückzuhalten, weil es auf mein Votum nicht ankommt. Ich finde es sinnvoller, die Debatte zu beobachten.

Wenn Sie das tun – sehen Sie dann Gründe, warum gerade das Grundeinkommen wieder neu an Virulenz gewonnen hat?

Eigentlich nicht. Natürlich hat sich gegenüber den ganz frühen Zeiten, gegenüber den 1980er Jahren, schon etwas verändert, zeitweise war die Debatte ja auch ein wenig eingeschlafen. Aber was ich schon beobachte, ist, dass das Ganze seit 2004/2005 kampagnenartige Strukturen bekommen hat. Wenn man sich anschaut, wie das Basic Income Earth Network (ein internationales Netzwerk von Forschern und Aktivisten zum Thema, Anm. d. Red.) heute agiert, sind das sehr stabile Strukturen.

Aber kann man nicht sagen, dass äußere Faktoren wie die Digitalisierung, aber auch die Prekarisierung vieler Arbeitsverhältnisse schlicht die Aufmerksamkeit für das Thema gesteigert haben?

Die kollektive Suggestion ist ja durchaus, dass Computer uns die Jobs wegnehmen, das trägt sicher dazu bei, dass die Debatte Aufmerksamkeit bekommt. Die These, dass wir wegen der wegfallenden Jobs neue Verteilungsinstrumente jenseits der bisherigen brauchen, stammt allerdings aus den 1980er Jahren, das hat schon Ralf Dahrendorf gesagt. Doch genau das hat sich seit 40 Jahren nicht bewahrheitet. Und die Digitalisierung wird immer dann als besonders dramatisch eingeschätzt, wenn die Beispiele besonders eindrucksvoll sind. Wenn zum Beispiel im Automobilbereich die Arbeitslosigkeit zunimmt. Man muss aber auch sagen: Keine seriöse Prognose bestätigt, dass Arbeitsplätze massenhaft verloren gehen. Es gehen welche verloren, aber es entstehen auch neue. Die Einschätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind beispielsweise weniger dramatisch.

Prof. Dr. Georg Vobruba ist seit 2007 Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er forscht zu Soziologie sozialer Sicherheit, Europasoziologie sowie soziologischer Gesellschaftstheorie. Seit Oktober 2013 ist er emeritiert, zuvor war er unter anderem viele Jahre Mitglied des Senats der Universität Leipzig.
Foto: privat
Aber die Ungleichheitsdebatte rund um das neue Buch „Capital et Idéologie“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty und zahlreiche Beiträge zum Konzept New Work haben ja ebenfalls die Aufmerksamkeit für Ansätze wie das Grundeinkommen erhöht.

Wer sagt denn, dass ein Grundeinkommen Ungleichheit verringern würde? Das hängt auch sehr davon ab, wie es finanziert wird. Finanziert man es mit einer Steuer auf Konsum und baut vielleicht auch noch progressive Steuern ab, dann verstärkt es Ungleichheit eher noch. Es kann aber sein, dass das gegenwärtig wachsende Bewusstsein von Ungleichheit der Grundeinkommensdiskussion hilft, weil viele glauben, dass es ein Mittel gegen Ungleichheit ist. Eben auch eine Suggestion.

Und was ist mit der zunehmenden Prekarisierung? Auch eine Suggestion?

Nein. Natürlich gibt es Prekarisierung. Ein Grundeinkommen würde hier im untersten Einkommensbereich helfen. Der normale Arbeitnehmer erfährt ohnehin immer mehr Umbrüche, das Normalarbeitsverhältnis ist auf dem Rückzug. Aber das ist ein alter Hut. Die Frage ist eher, warum die Politik nicht darauf reagiert.

Was denken Sie, wie die Antwort auf diese Frage lautet?

Na ja, es ist ja nicht so, dass nichts passiert. Die Einführung des Mindestlohns ist eine Reaktion darauf. Übrigens ohne die massiven Verluste an Arbeitsplätzen, die von zahlreichen Ökonomen prognostiziert wurden.

Wie hat sich die Debatte ums Grundeinkommen denn trotzdem verändert?

Ich finde, einige unbedachte Zungenschläge, die es anfangs noch gab, sind mittlerweile raus.

Zum Beispiel?

Erstens ist die radikale Attitüde aus der Anfangszeit, dass alles andere wegfällt und das Grundeinkommen den Wohlfahrtsstaat ersetzt, weg. Das will höchstens noch die FDP. Selbst der Gründer des Basic Income Earth Network, Philippe Van Parijs, der schon früh zum Grundeinkommen gearbeitet hat, würde einige frühere Thesen heute nicht mehr so schreiben. Zweitens ist die Negative Einkommensteuer im Gegensatz zu früher stärker in Verruf geraten, als das nötig wäre. Die dringt nicht mehr durch. Heute herrscht mehr die Idee vor, dass jeder das Gleiche erhalten sollte.

Und außerdem?

Drittens habe ich in den vergangenen Jahren die Tendenz beobachtet, Dinge Grundeinkommen zu nennen, die keines sind. Was in Berlin mit dem Pilotprojekt „Solidarisches Grundeinkommen“­­ stattfindet, ist eine begrüßenswerte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, mehr nicht. Auch die italienische Sozialhilfe ist ein Etikettenschwindel, das ist kein Grundeinkommen, sondern ein Aufstockermodell, das zum Nichtstun einlädt.

„Ich gehe doch nicht raus aus einem Job, weil ich zwei Jahre ein Grundeinkommen bekomme. Da müsste ich ja einen Vogel haben.“


In einem Beitrag für den österreichischen „Standard“ erklärten Sie, das Grundeinkommen stecke in der Utopiefalle. Was meinen Sie damit?

Ich beschreibe damit die fundamentale Unsicherheit in Bezug darauf, was passieren würde, wenn man das Grundeinkommen wirklich einführen würde. Also: Wie würde sich die Arbeitskultur und -bereitschaft verändern? Darüber weiß man eigentlich nichts. Auch Experimente können wenig Aufschluss dazu geben. Um ein Grundeinkommen wirklich zu testen, müsste man es einführen. Ohne zu wissen, was passiert, ist es aber großen Mehrheiten der Gesellschaft zu riskant. Und diese Angst vor dem Risiko abzubauen, ist wahnsinnig schwer.

Sind denn bisherige Experimente, wie etwa das in Finnland, grundsätzlich sinnlos?

Man kann durch alle Versuche nur Teilaspekte erfahren. Aber dass es beispielsweise beim finnischen Experiment kaum Veränderungen beim Arbeitskräfteangebot gab, ist kein Wunder. Ich gehe doch nicht raus aus einem Job, weil ich zwei Jahre ein Grundeinkommen bekomme. Da müsste ich ja einen Vogel haben. Und auch die Berliner, die Grundeinkommen verlosen: Das ist eine Tombola für Berliner Alternativos.

Die Teilnehmer sagen aber, dass sie durchaus froher, entspannter, freier sind, auch gesünder zum Teil.

Was sollen die auch sonst sagen? Klar sind Teilnehmer froh, dass sie Geld bekommen. Aber gerade dort sind alle Probleme von Experimenten potenziert – weil eben nicht klar wird, was passieren würde, wenn alle das bekämen und für immer.

Wie könnte man sinnvoller und aussagekräftiger forschen?

Das ist schwer zu sagen. Am ehesten, indem man graduelle sozialpolitische Reformschritte politisch durchzusetzen versucht und sie sozialwissenschaftlich begleitet.

Wie käme man sonst noch raus aus der Utopiefalle?

Wie gesagt: Wäre ich Aktivist, wäre ich für kleine Reformen, das Ganze müsste Schritt für Schritt geschehen.

Welche Probleme sähen Sie dabei?

Zum Beispiel die Arbeitssozialisation. Da bin ich persönlich hin- und hergerissen. Natürlich erlebe ich beruflich und privat sehr viele junge Menschen, die im Traum nicht darauf warten, dass ihnen Arbeit angeschafft wird, sondern selbst Projekte starten. Aber andererseits ist die Fähigkeit, sich auf diese Weise selbst beschäftigen zu können, ein strukturell definiertes Privileg. Und es gibt schon junge Menschen, bei denen ich mich frage, ob die noch arbeiten würden, wenn sie wüssten, dass sie mit 20 Jahren ohnehin ein Grundeinkommen bekommen. Auch im räumlichen Rahmen sehe ich ein Problem. In der ganzen EU auf einmal ein Grundeinkommen einzuführen, wäre fast schon Wahlhilfe für rechte Retroparteien in den wohlhabenderen Mitgliedsländern. Jetzt klinge ich wie ein Gegner. (lacht)

Stimmt.

Nun ja, gerade wenn man für etwas ist, darf man die Idee nicht allzu illusorisch in die Welt schicken.

Denken Sie, dass die Debatte sich noch verändern wird in den kommenden Jahren? Und wie?

Jedenfalls wünsche ich es mir. Um das Grundeinkommen ernsthaft politikfähig zu machen, muss es zu einem Baustein in komplexeren Politikkonzepten werden, verbunden mit Bildung, Umwelt, Verkehr und so weiter. Soziale Sicherheit ist nicht irgendein politisches Ziel, sondern die Voraussetzung für Politik, die mehr will, als den Status quo zu verlängern. Vor allem die Sozialdemokratie sollte das einsehen. Vielleicht ist sie dann noch zu retten.

Wir stellen uns neu auf: Neuer Name, neue Programmatik

Am 15. Februar schlagen wir ein neues Kapitel auf. Künftig verhandeln wir die Sozialsysteme der Zukunft – geleitet von unserer Vision einer fairen und zukunftsfähigen Gesellschaft, in der ein selbstbestimmtes Leben für alle zugänglich ist. Dazu geben wir uns einen neuen Namen: "Zentrum für neue Sozialpolitik"; und eine breitere Programmatik. Kommen Sie mit auf die Reise?